Lyrik

 

                                                             Ich liebe die Menschen,

                                                        nur die Leute, die fürchte ich.

                                 

 

 

 

Tausend Wunder

hört Ihr sie

lachen tanzen

wirbeln taumeln

durch die eine schwarze Nacht

 

Tausend Wunder

fühlt Ihr sie

fallen fliegen

schweben schwirren

mal ganz wild und plötzlich sacht

 

Tausend Wunder

seht Ihr sie

sinken torkeln nieder

müde glücklich still

samt vereint zu reiner Pracht

 

Tausend Wunder

wohin sind sie

schmelzen wandeln

fließen wandern

so wie wir zur nächsten Nacht

 

 

 

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Aus den Angeln - Der kleine Krieg

 

Letztens

bekam ich

den Krieg zu Gesicht.

Er kam auf zwei Beinen

unschuldig

um die Ecke gerannt.

Und schaute mich an

aus samtbraunen Augen.

Ihm fehlte das linke Ohr

und die Finger der linken Hand.

Die Haare über dem

nicht vorhandenen Ohr

waren auch davongeflogen,

zusammen mit der Mine weit

in den hellblauen Himmel hinein.

Da stand er vor mir

der kleine Krieg

gerade einmal vier Jahre alt

und lachte mich an.

 

Für Elisa aus Angola

siehe auch "Aktuelles"

 

 

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nur eines

kann ich für dich tun

dir zeigen

wie man den Wind

in der Brust

zu Hause sein lässt

und ein großes loderndes

Feuer entfacht

damit das Herz

nie erkaltet

hörend machen

möchte ich dich

für den lächelnden

Weltgesang

der dich trägt

und manchmal

auch fliegen lässt

bis hin an das Ende

in welchem der Anfang

geboren ist

 

Meinen Kindern

 

 

 

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Du für mich

 

Bitte lauf für mich, meine Füße sind wund

Von deinen Armen aus ist alles weich und bunt

Trag meine Gedanken weiter, mein Kopf ist so schwer

Das Tal der Wölfe schweigt und ist leer

Glaub für mich, manchmal kann ich es nicht

Dein Atem wärmt mein erfrorenes Gesicht

Bitte sing für mich, mein Herz es verstummt

Dein Lied webt mir Flügel weit weg vom Grund

 

 

 

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Väter

 

Halte mich

solange mein Atem

nicht lang genug

und meine Augen

nicht wach genug

Sei der Boden unter meinen Füßen

und der tragende Wind meiner Gedanken

Und wenn meine Wurzeln

eines Tages tiefer als die deinigen

und mein Geist weiter als der deinige

dann hast du deine Sache gut gemacht

Denn ein guter Vater ist nur derjenige

der seine Töchter und Söhne

über sich selbst hinaus wachsen lässt

der ihnen den Weg ebnet

zu den Gefilden die er selbst nicht kennt

und Früchte kosten lässt

die er selbst noch nie erreicht

 

 

 

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Das Sehen und das Linsen

 

Schaue ich geradeaus vor mich

sehe ich – na klar- dich!

Blicke ich zur Seite

spüre ich die Weite

Schiele ich in die Ecke

weiß ich, dass ich dich necke

Gucke ich nach unten

will ich dich nicht verwunden

Beäuge ich meinem eigenen Rücken

kann ich meine Schwingen zücken

Lins ich dann genauer hin

lugt mein Schweif dort mittendrin

 

 

 

 

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Leid

 

Sorgfältig

habe ich meine Unglückssplitter aufgesammelt

und in eine Schatulle aus Kummer gelegt.

Dummerweise habe ich bei der Auswahl

des kleinen Kästchens nicht darauf geachtet,

ob es ein Schloss besitzt.

Es besitzt keines.

Und so besitze ich auch keinen goldenen Schlüssel,

um die Scherben sicher einzuschließen und dann

versehentlich auf dem Meeresgrund zu versenken.

Nun tue ich ständig nichts anderes,

als eine Scherbe nach der anderen herauszunehmen

und sie hilflos mit meinem mittlerweile roten Nachthemd

im Mondlicht zu polieren.

 

 

 

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Der kleine dicke Küchenzwerg (von A. C. 2009)

 

In unserer Küche gibt es mehr

als man sofort entdecken kann

Unter dem Tisch da herrscht Verkehr

durch einen runden kleinen Mann

 

Ihr wundert euch habt ihr ihn doch

nie nirgendwo gesehen

der Grund dafür ist jedoch klar

es wird auch nicht geschehen

So zeigt sich nur dem der freche Mann

der am besten schlabbern kann

 

Hab ICH ihn neulich fast erwischt

verschwand was hinter'm Obstberg

Er kam an mir vorbei gezischt

der kleine dicke Küchenzwerg

im Lauf ein Krümel vom Schlafshirt gefischt

 

Ob Ei ob Schinken oder Brot

das ist dem runden Zwerg egal

Solang ICH sitz an eurem Tisch

hat er ja freie Wahl

 

Nun stellt euch vor was würd passieren

würd ich je vergessen zu kleckern?!

Wir würden unsern Zwerg verlieren

drum hört doch auf zu meckern…

 

 

 

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auf der welle (von Q. C. 2016)

 

surfen würde ich sehr gerne

denn man sieht die sonne in der ferne

auf den wellen hin und her cruisen

dabei bekomme ich aus meinem kopf die flusen

ein paar wenden hier und da

und man bleibt dem oberen wellenrand nah

dadurch kann man geschwindigkeit aufbauen

und diese wird einem den verstand klauen

doch um zu diesem punkt zu gelangen

muss man das meer mit den augen einfangen

und falls dort eine welle ist

sieh zu dass du in der startposition bist

mit dem kraulen hast du nun zu beginnen

das richtige timing lässt dich die energie der welle gewinnen

du stellst dich auf das board

das gleichgewicht verlieren wäre mord

denn die welle würde dich erfassen

du würdest dich ihrer kraft überlassen

sie schleudert einen auf den grund

und man bekommt keine luft in den mund

doch falls dies nicht geschieht

und man erfolgreich aus dem bruch der welle flieht

wird man mit einem wunderschönen erlebnis belohnt  



 

 

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A-BI-lawia

 

Letzte Nacht waren drei Feen zu Besuch.

Sie haben unser süßes, schlafendes Kind mitgenommen

und stattdessen einfach dich

an unseren Küchentisch gesetzt

 

Barfuss sind wir noch in den Garten gerannt

haben mit den Armen gewunken

und geschrien und versucht sie aufzuhalten –

aber sie waren viel zu schnell

mit ihren silbernen Schwingen.

 

Von weitem hörten wir noch ihr glockenhelles Lachen:

„Alles wird gut! Alles wird gut!“

haben sie gerufen und uns

blass und verschreckt in unseren

dünnen Nachthemden stehen lassen.

 

Derweil saßt du gut gelaunt beim Frühstück.

 

Beklommen sind wir in die Küche zurückgegangen

und haben dich ratlos angesehen.

Was sollten wir jetzt sagen?

Was sollten wir jetzt tun?

 

 

Die Abzählreime und das Feuerwehrauto,

das Gummitwist und der Bollerwagen,

der Teddybär und das Mobile,

die bunten Pflaster und die Wachsmalstifte,

die Vokabelhefte und die Frühstücksbox -

alles vorbei - alles nicht mehr zu gebrauchen.

 

Sogar für die Pickelcreme war es nun zu spät!

 

Aber ein kleines bisschen Mitleid scheinen die drei bezaubernden Damen

doch mit uns Eltern gehabt zu haben;

Auf einem der Küchenstühle haben sie einen

glitzernden Rucksack fallen gelassen

und darin haben wir unsere verzweifelten Nasen gesteckt.

Zum Vorschein kam eine unglaubliche Liste mit besten Wünschen –

Man staune,

allesamt nur für dich!

Dort stand:

Allerliebstes Erdenkind,

Du weißt sicherlich nicht, wer wir sind, das spielt auch keine Rolle –

wir kommen sofort zur Sache.

Neben all dem selbstverständlichen und sicherlich notwendigen irdischen Firlefanz,

den wir hier nicht weiter erwähnen müssen,

wollen wir dir unbedingt noch etwas Beiwerk angedeihen lassen.

 

Wir wünschen dir also einen höchst anschmiegsamen Hut,

der dich immer auf's vorzüglichste kleidet und

dich beschützt, bei Sonne und Regen.

 

Darüber hinaus ein Paar glänzende Schuhe,

welches passt wie angegossen –

nicht zu weit, nicht zu eng,

um dich jederzeit dorthin zu befördern,

wohin du gehörst und wo du glücklich bist.

 

Unabkömmlich sind auch ein paar sensationelle Ohren,

die genau auf dein Herz hören,

damit du dir nie von Fremden sagen lässt,

was du kannst und was du nicht kannst,

sondern es immer selber herausfindest.

 

Ach ja, einen kupfernen Kessel noch,

zur Hälfte mit Mut zum Anderssein

und zur anderen Hälfte mit Güte

zum Andersseinlassen gefüllt.

 

Außerdem möglichst zahlreiche,

freundliche, liebe Gesichter um dich herum,

in die du gerne und oft hineinschaust -

und das eine, ganz besondere Gesicht,

in dem du dich verlierst und wiederfindest. Und, und, und ...

 

...die Liste war noch endlos lang,

von süßem Schokoeis war dort die Rede,

von wärmenden Sonnenstrahlen und Eintöpfen, wilden Abenteuern und lautem Gesang,

von zu bezwingenden Riesentürmen und winzigen Zwergenschritten,

vom stummen Mondscheinglück und vielen, kleinen, großen Träumen...

 

und so weiter und so fort., unterzeichnet mit fantastischen Grüßen,

viel Achtung und einem großen „Hoch auf dich!“,

wie immer entzückt und leicht entrückt,

deine Vollsinna, Frohditte und Gutmilla

Wir

haben schließlich aufgehört zu lesen und dir erleichtert und voller Zuversicht

den Rucksack über den Küchentisch hinweg zugeschoben.

Wenn du möchtest, kannst du nun jederzeit selber darin stöbern

und dir alles und wir meinen wirklich ALLES! - aussuchen, was dir gefällt.

 

Den Abiturienten des Hardtberg-Gymnasiums Bonn 2011

 

 

 

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Herzumwickelt

 

Du hast die riesigen klobigen Schuhe

deines Vaters im Garten gefunden.

Darin hast du deine Kleinjungenfüße gesteckt,

die dünnen Beinchen staken heraus.

Seine Käppi lag wohl auch herum,

sie rutscht dir fast auf die Nase.

Und jetzt läufst du damit

von einem zum anderen Ohr grinsend,

dich breit in den Schultern wiegend,

über die Terrasse an mir vorbei.

Mich durch die Scheiben hindurch schelmisch taxierend,

bist du dir deiner Komik mit vier Jahren überaus bewusst.

Mir laufen vor Lachen die Tränen über die Wangen

und mein Herz wickelt sich komplett

um deinen kleinen Finger entlang,

am Ende eine hilflose Schleife bindend.

 

 

 

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Luzifer

 

Und was, wenn Gott sprach

ICH sollte reine Liebe sein, Vergebung und Trost

Doch ICH werde heimgesucht von Gedanken

voller Begierde, Hass und Wut

Was soll sein, wenn nicht einmal ICH

frei davon bin?

Und was, wenn sein Lieblingsengel dies hörte und sprach

HERR, lasst mich diese Bürde für euch tragen

Und was, wenn Gottes Zweifel auf des Engels festen Blick traf

und er dessen Wunsch

mit schlechtem Gewissen, doch großer

Erleichterung nachgab?

Luzifer ertrüge die Last mit gesenktem Haupt

und Gott entsagte der Vollkommenheit,

um der Illusion zu erliegen

frei von Makel zu sein

 

(siehe Bild)

 

 

 

 

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Die Jugend

 

Die gegenwärtige Jugend

läutet seit Jahrtausenden

das Ende der Welt ein

Faul, dumm und ohne Moral!“

greinen die gegenwärtig Gesetzten

Dabei kann kein Hintern

breit genug sein um zu verdecken

worauf man alteingesessen

menschenverachtend behaglich thront:

Hunger, Armut, Krieg …

Die eigenen Nasen

sind immer schwer zu fassen

Bleibt die Hoffnung

dass diese fürchterliche Jugend

es endlich einmal

furchtbar anders macht

 

 

 

 

 

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Löwengrube

 

Eine Löwengrube habe ich nicht

und mein Pfeilspitzengift ist niedrig dosiert.

Schlüssel mit Schloss fehlen immer noch.

Kein Löwe wird von Pfählen durchbohrt.

Ob König oder Untertan,

sie landen allesamt auf seidigweichen Federkissen.

Die verteilten Edelsteine sehen sie nicht

und die Diamantsplitter spüren sie nicht.

Verstummt schaue ich zu,

wie die Meute bedenkenlos

mein Herz auffrisst.

 

 

 

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Böser Untertitel im Plenarsaal

 

...brablablubs,

bin ein schlauer Fuchs.

Ene mene ätschibätsch

schieß mit kalten Bohnen, faulen Ähbs.

Was kümmert mich das blöde Land,

Spieglein, Spieglein interessant.

Was kümmern mich die andern Leute,

her mit all der fetten Beute.

Bin ich nicht ein toller Hecht,

ich so wichtig, kühn und recht.

Viele Worte, nix gesagt,

alles Lüge, ich betrüge,

wehe einer fragt.

Dann drück ich ein paar Tränchen,

dabei lustig flattert mein Fähnchen.

Täterä, tätärä...“

 

 

 

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Kopfherzbauch

 

Mein Kopfherzbauch tut weh

Ich kann den Schmerz nicht orten

Es klumpt und piekst schier überall

bewahrt mich vor dem inneren Zerfall

Meine Medizin besteht aus Worten

sie fließen in die tiefe See

Dort formen Sätze sich im weichen Sand

und senken Ruhe in meinen rastlosen Verstand

 

 

 

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Oft verlacht und umgebracht

 

„Ich habe einen Traum...“

Die das Unmögliche glauben,

locken die Gestirne vom Himmel

und der Mensch erhebt sich.

Während selbsternannte Realisten

ihre Kapitulation hinter Zynismus verstecken

und sich ängstlich an die Blechkronen

auf ihren Köpfen klammern,

Verstand, Herz und Hände blockiert,

sehen die Mutigen den unsichtbaren Teil des Mondes

und wagen traumwandlerisch Visionen vorzuleben,

ohne Netz, doppeltem Boden und Seil.

„Ich habe einen Traum...“

Hört nicht auf zu träumen.

Hört nicht auf zu leuchten.

Hört nicht auf zu lieben.

Die Welt braucht euren Wagemut.

 

 

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Phantasie

 

Wird das Bett zum Zirkuszelt

sind wir mutige Athleten

und plötzlich in einer Nebenwelt

in der wir strahlend vor das Publikum treten

Dort verwandeln wir uns zur Tänzerin und Fee

und der alte Küchentisch zur Sternenbühne

in sekundenschnelle wird die Maus zum Tiger

und die sanfte Maid zum wilden Krieger

die Badewanne ein großer blauer glitzernder See

und aus dem Gartenzwerg entsteigt ein furchtbarer Hüne

der seine Kräfte messen will im Ringen

über den die Hexen allerdings nur leise kichern

während sie Nudeln mit roter Soße verschlingen

übrigens „echt“ lecker wie sie mir versichern

 

 

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WahrheitsERfindung

 

Die Wahrheit ist -

in der Waschmaschine gelandet.

Sie krabbelt in Pyjamahosen,

schmiegt sich zwischen Laken,

schlüpft in Socken, wandert durch die Unterwäsche

und klammert sich am Geschirrtuch fest.

Doch egal was sie tut,

am Ende wird sie gewrungen,

geschüttelt, erdrückt und ertränkt

und mit dem Rücken an die Wand geschleudert.

Es öffnet sich die Tür zur Trommel

und die Wahrheit kommt ans Tageslicht.

Wenn man Glück hat,

ist sie wohlig duftend,

blitzeblank oder rosa.

Wenn man Pech hat, befleckt.

Dann kommt die gute Hausfee

mit Bleichmittel, Kernseife und Bürste

und schrubbt. Sie schrubbt solange,

bis alle Flecken verschwunden sind,

auch wenn stattdessen Löcher bleiben!

Ist das der Fall,

streckt sie beleidigt ihr Näschen in die Luft und geht.

„ICH habe alles versucht!“ , schnappt sie noch.

Die Wahrheit bleibt auf der Strecke; sauber,

dafür fadenscheinig und verknittert.

Doch aufgepasst,

denn jetzt geschieht eines der großen Wunder des Lebens:

Die Wahrheit ist -

tot.

Doch sie bekommt eine zweite Chance

und wird als Putzlappen neugeboren!

 

 

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Sternenkinder

 

Sternenkinder können sich verirren

um die Erdenbürger zu verwirren

Sie sind auf das Wesentliche beschränkt

so dass sich ihr Geist niemals verrenkt

und feiern hier oft in geduldiger Einsamkeit

ihr strahlendes Fest der Vollkommenheit

inmitten stolpernder hastiger Wesen

denen sie von Liebe erzählen

und ihnen gütig verzeihen

wenn diese sie leider nicht verstehen 

 

 

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Wo ist Eva?

 

Unter Burka, Kostüm, Windeln, Diät,

Glattfönen und Wasserkästen selber schleppen

ist Eva futsch gegangen.

Zwischen den Scheidungsunterlagen

liegt sie auch nicht.

Wo ist sie nur?

Sie steht still.

Der Sommerregen

tropft von ihren Händen.

 

 

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Wo ist Adam?

 

Unter Cleverness, Abliefern, Muskelpumpen,

Familienmensch sein und es Jederfrau recht machen

ist Adam flöten gegangen.

Zwischen den nackten Internetseiten

irrt nur seine Kopie herum.

Wo ist er nur?

Er läuft.

Den Boden fest

unter den Füßen

im Rhythmus

seines Herzschlags

atmend.

 

 

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Wirklichkeiten einer Nacht

 

1   Balthasars Socken

 

Der nächste Morgen war gekommen und es wurde Zeit aufzubrechen -

doch Balthasar fand seinen linken Socken nicht.

Er suchte zwischen Stroh, Gold und Esel, wühlte bei der Kuh und Myrrhe,

jedoch ohne Erfolg. „Himmel, es wird doch wohl möglich sein, in dieser armseligen Behausung einen dämlichen Socken wiederzufinden!“, dachte er mittlerweile reichlich verärgert und wütend. Der Socken blieb verschwunden.

Argwöhnisch beäugte er die in Lumpen gewickelten Füße der Hirten, sogar an Josefs abgetragenen Sandalen blieb sein Blick hängen – sich gleichzeitig seiner ungehörig unheiligen Gedanken schämend...

Da kam Caspar bereits zum zweiten Mal mit rügendem Ausdruck in den Augen in den Stall zurück: „Wo bleibst du denn?“ Der Vorwurf war deutlich zu hören. Alle warteten nur auf ihn. Balthasar gab seufzend auf. Er steckte seinen nackten Fuß in den pelzbesetzten Stiefel und schnappte sich sein bereits geschnürtes Bündel.

Gerade wollte er mit einem resignierten Kopfschütteln nach draußen stapfen, wo sein Kamel getreulich bei der Karawane auf ihn wartete, da blieb er abrupt stehen.

Was war das? Aus den Augenwinkeln sah er das Jesuskindlein voller Freude und Begeisterung mit etwas herumwedeln, das ihm nur allzu bekannt vorkam. Dabei quietschte es vor Wonne. Er erstarrte vor Schreck. Heiß und kalt wurde ihm und das Blut stieg ihm ins Gesicht; Gottes heiliger Sohn! Mit einem stinkenden Socken spielend! Welch Ungeheuerlichkeit.

Die Schamesröte wollte gar nicht mehr weichen, während er krampfhaft überlegte, wie er die Situation retten könnte, ohne den Herrn im Himmel zu beleidigen und das rechtschaffene Elternpaar zu kompromittieren.

Da schaute ihn das Kind in der Krippe plötzlich stumm an. Es sah ihm direkt in die Augen, mit stillem Vergnügen und aus reinster Seele, so als könne es geradewegs auf den Grund seines ängstlichen, laut pochenden Herzens blicken.

Und mit einem Mal machte sich auf Balthasars Gesicht ein Schmunzeln breit, immer breiter wurde es, bis er das Gefühl hatte, nur noch aus diesem Schmunzeln zu bestehen! Im ganzen Körper, von den Ohren bis zu den Zehen spürte er es.

Beschwingt bestieg er sein schnaubendes, schaukelndes Kamel und machte sich mit den anderen auf den Heimweg.

Den Socken ließ er zurück. Das Schmunzeln nahm er mit.

 

 

 

Die „A Wirklichkeiten einer Nacht“ erscheinen demnächst.

         C

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